Schiller und die Gustel von Blasewitz Legenden und Wirklichkeit um Johanne Justine Renner
Seit zwei Jahrzehnten ranken sich Legenden um Friedrich Schiller und die Gustel von
Blasewitz. Auslöser sind die Worte Schillers in seinem „Wallenstein“:
„Was? Der Blitz! Das ist ja die Gustel aus Blasewitz.“
Als Christian Gottfried Körner (1756-1831), der Johann Christoph Friedrich Schiller (10.11.1759-09.05.1805)
einst in unsere Region geführt hatte, jene Zeilen aus „Wallensteins Lager“
gelesen hatte, schrieb er einfach: „Die Gustel von Blasewitz hat uns allen
viel Spaß gemacht.“ Tatsächlich hatte Schiller jene „Gustel aus
Blasewitz“ während seines Aufenthaltes bei der Familie Körner am Loschwitzer
Weinberg im jenseitigen Blasewitzer Schankgut kennengelernt. Während dieses
kulturhistorisch bedeutsamen Dresden-Aufenthalts vom Herbst 1785 bis Sommer 1787
erholte sich Schiller von dem bisher durchlebten Ungemach, das ihn hier in
Sachsen kränkelnd und in materiellen Schwierigkeiten stehend ankommen ließ.
Körner und der kleine Freundeskreis halfen Schiller beides abzubauen bzw. zu beseitigen – eine für
Schiller nie wiederkehrende glückliche Zeitspanne, in der er die „Ode an die
Freude“ schrieb und den „Don Carlos“ vollendete. Der Freundesdienst Körners
kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der geistige Austausch und die Hilfe
des Begüterten aus des Dichters Not waren ursächlich für den Ausgangspunkt
einer tiefgreifenden Neuorientierung Schillers, ermöglichten eine gründliche
Überprüfung seiner weltanschaulichen und ästhetischen Position und seine Möglichkeiten
als Schriftsteller in jener Zeit. Bis 1794 schrieb er kaum noch Gedichte,
sondern betrieb vorrangig theoretische, ästhetische und kritische Studien.
Schließlich entdeckte er nahezu ganz neu die Geschichte für sich, was vor
allem in seinem großen dramatischen Hauptwerk „Wallenstein“ mündete. Im
Prolog der Trilogie, 5. Auftritt, ließ Schiller im Soldatenlager einen Jäger
die dortige Marketenderin wiedererkennend obigen Satz sagen, was die Blasewitzer
veranlasste, die Gustel zu einer Kultfigur der Gemeinde bzw. des Stadtteils
Dresden-Blasewitz zu erheben.
Wer war sie tatsächlich? Frau
Johanne Justine Renner, geborene Segedin (05.01.1763-24.07.1856), war die
„Gustel von Blasewitz“. Ihr Vater war ein von sächsischen Truppen in Ungarn
gefangener Türke, der wahrscheinlich in der Stadt Segedin auf den Namen Johann
Christian Segedin getauft worden war und dann in Dresden eine Anstellung als
kurfürstlicher Leibjagdkutscher erhielt. Nach einem Unfall wurde er später als
Torwächter im Großen Garten eingesetzt. Er starb 1763, im Jahr der Geburt
seiner Tochter Johanne Justine. Die Witwe, die sich nun die sich nun mit Karl
Friedrich Fleischer verheiratet hatte, erwarb 1764 in Blasewitz das dortige
Schankgut, an dessen Stelle sich jetzt der „Schillergarten“ befindet.
Gelegentlich hatte die heranwachsende Justine die Gäste zu bedienen, zu denen
auch Schiller gehörte. Des öfteren kam er mit der Fähre zum Schankgut herüber,
um hier seine Milch zu trinken. Justines anmutige Erscheinung fesselte ihn,
besonders zog ihn ihre angenehme Stimme an. Oft musste sie ihm am Spinett Lieder
vorsingen. Einmal schlug er ihr vor, sich ausbilden zu lassen und erklärte sich
bereit ihr den Weg zur Bühne zu ebnen. Aber in ihren Augen der damaligen Welt
stand der Schauspielerberuf, das „fahrende Volk“, in keinem guten Ruf, und
die sittsame Justine lehnte ebenso wie die Eltern Schillers Vorschlag ab. Obwohl
es ihm nicht gelungen war, Justine auf die Bühne zu führen, so hatte er doch
ihren Namen auf die weltbedeutenden Bretter gebracht, indem er jenen Ausspruch
rufen ließ.
Aus dem ehemaligen Schankmädchen
war unterdessen eine angesehene Bürgersfrau geworden. Sie hatte den Advokaten
und späteren Senator Christian Friedrich Renner (1755-1821) geheiratet; in der
Kirche von Leuben war sie getraut worden. Ihre beiden Söhne starben frühzeitig
– Carl August (1795-1800), Cristian Friedrich (1788-1813), auch ihren Gatten
überlebte sie. Sie starb fast 93-jährig. Angeblich soll die Frau Senator die
„Gustel von Blasewitz“ schrecklich übel genommen haben. Erst im hohen Alter
habe sie ihm verziehen, war sie doch durch ihn unsterblich geworden. Diese
Legende ist fraglich. Schriftliche Überlieferungen berichten vielmehr von
sorgsam aufbewahrten Schillerreliquien der freundlichen weißhaarigen Senatorin
Renner, bestehend aus getrockneten Feldblumen und einer Briefunterschrift
„Dein Fried. S.“. Sie bringen den Nachweis, dass das Signum der damaligen
Schreibweise von Schillers Initialen entspricht. Wiederholt war die „Gustel
von Blasewitz“ dramatisch behandelt worden. 1863 wurde im Königlichen
Hoftheater und 1885 bei der Schillerfeier im Schillergarten das Volksstück
„Die Gustel von Blasewitz“ aufgeführt. Die Trivialschriftstellerin Anda von
Smelding schrieb einen Roman diesen Titels. Als Schauspiel erlebte er seine
Uraufführung im Alberttheater in Dresden 1935 und wurde mehrmals aufgeführt.
Es gibt bildliche und plastische Darstellungen der Gustel. So gab es ein
Kirchenfenster mit der Darstellung der Gustel in der Blasewitzer
Heilig-Geist-Kirche – direkt neben der damaligen Kanzel – gestiftet von der
Nichte der Gustel, Frau Agathe Simon, und am Blasewitzer Rathaus (heute Ortsamt
Blasewitz) steht seit 1905 die Statue des Bildhauers Martin Engelke als Denkmal,
welche sie so zeigen sollte, wie Schiller ihr begegnet war. Bis 1938 ließ sich
an der 63. Volksschule eine Justine-Renner-Stiftung nachweisen. Die ehemalige
Hainstraße von 1870 wurde 1926 in Justinenstraße umbenannt. Endlich hält das
Grab auf dem Eliasfriedhof die Erinnerung an die „Gustel von Blasewitz“
nach. Sie ist dort bei ihrem Mann begraben. Die Symbolik der Grabplatte und
beider Grabsprüche atmen den Geist der Biedermeierzeit.
Bilderklärungen:
Bild 1: Schiller und die Gustel von Blasewitz, Handzeichnung von Erwin Oehme, 1905
Quelle: Sächsische Landesbibliothek, Abt. Deutsche Fotothek
Bild 2: Die Gustel von Blasewitz als Figur am Blasewitzer Ortsamt
Quelle: Archiv Kurt-Dieter Prskawetz
Textquelle aus "Schillers Persönlichkeit - Urteile der Zeitgenossen und Dokumente" gesammelt von Julius Petersen, Weimar 1908, Bd. II, S. 328f. : |
"...
Das Mädchen des Körnerschen Hauses, das den Tisch abräumt,
trägt den Namen Gustel und entpuppt sich als die berühmte Gustel
v. Blasewitz, die vordem Schenkmädchen im Wirtshaus zu Blasewitz
gewesen sei und mit der Schiller getanzt habe. Das ist ebenso unrichtig,
als die Behauptung, Gustel sei eine berüchtigte Frauensperson, die
von Soldaten besucht wurde. (Leipziger Stadt- und Dorfanzeiger 1858, Nr.
73) Authentisches über sie berichtet Kneschke, Goethe und Schiller
in ihren Beziehungen zur Frauenwelt, Nürnberg 1858, S. 356: "Am 24.
Februar 1856 starb in Dresden, fast 94 Jahre alt, die verwittwete Senator
Renner, geb. Segedin. Diese eben ist durch "Wallensteins Lager" berühmt
geworden, worin Schiller sie in Folge eines Scherzes als "Gustel von Blasewitz"
erwähnte. In dem, Loschwitz gerade gegenüber, am jenseitigen
Ufer der Elbe gelegenen Dorfe besaß ihr Vater ein bedeutendes Gut,
und unser Dichter besuchte dasselbe während des Aufenthaltes bei
Freund Körner oftmals. Die alte, in glücklichen Verhältnissen
lebende Dame hat Schiller, dem sie ihre Berühmtheit verdankt, um
mehr als 50 Jahre überlebt, und die Freude genossen, als eine Erinnerung
an den großen Dichter mit viel Interesse betrachtet zu werden." |
Textquelle aus "Dresden und seine Theaterwelt" von Friedrich Kummer, Dresden 1938, S. 22: |
"...
am Ende der Querallee nach Strehlen zu lag die Rügersche Wirtschaft.
Hier in der Rügerschen Wirtschaft war im 18. Jahrhundert Justine
Sagadin geboren, die später ins Schenkgut in Blasewitz kam, die Schiller
als Gustel von Blasewitz in Wallensteins Lager unsterblich gemacht hat
und die als Frau Senator Renner 1856 auf der Drehgasse 2 (heute Nr. 3)
gestorben ist." |
Zeitgenössisches
Gedicht:
Die
Gustel von Blasewitz
Unsterblichkeit
hat ihr der Schiller verlieh'n
Der Jungfer Justine Segedin.
Das war die "Gustel von Blasewitz",
Die Gastwirtstochter vom Gutsbesitz.
Da war der
Dichter ins Schankgut gekommen,
Dem hat es die Gustel gar übel genommen,
Daß er sie so auf die Bühne gestellt
Als eine Berühmtheit vor aller Welt.
Ja, -
Dichter, die schöpfen voll Phantasie
Idealgestalten, nicht Photographie.
Uns aber blieb in Erinnerung
Die Gustel von Blasewitz ewig jung.
Alt
Mütterchen starb sie vor sechzig Jahren,
Uns soll sie ihr jungfrisches Antlitz bewahren.
"Senatorin Renner" - so kennt man sie nimmer!
Die Gustel von Blasewitz lebt uns für immer!
|
Abbildung: Schiller in
Blasewitz
Gemälde in der Loschwitzer Schule |
Weiterführende Links:
Weitere Abbildungen:
So hat Schiller 1790 das "Schankgut zu Blasewitz"
von
Loschwitz aus gesehen
|
Restaurant "Potz Blitz", nach dem Ausruf "Potz Blitz das
ist ja die
Gustel aus Blasewitz" benannt, es stand an der Residensstraße
(heute Loschwitzer Straße) und wurde 1978 abgerissen
|
Schillerhaus in Loschwitz, hier wohnte
Schiller als er
bei Körner zu Gast war |
Körnerhaus in Loschwitz, es liegt unterhalb vom
Schillerhaus |
Gedenktafel am Körnerhaus |
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