Geschichte von Blasewitz
Um es gleich Richtigzustellen, Blasewitz beging im Jahr 2000 zu Recht sein 650jähriges
Jubiläum. Die Eintragung im Lehnbuch erfolgte erst 1350. Sie hält fest, dass der "treue Recke" Nikolaus
Karas für tapfere Kriegsdienste ein Gut in Blasewitz erhielt. Noch im Jahre seines Regierungsantritts
beauftragte Markgraf von Meißen, Friedrich III., der Strenge, seine Kanzlei, dieses Buch anzulegen. Von 1349
bis 1350 wurde es geschrieben. Blasewitz ist jedoch älter. Grundgrabungen auf der
Gemeindeflur brachten Funde
zur Besiedlung im Neolithikum und die durch germanische Hermunduren sowie Sorben zutage. Sorbischen Ursprungs ist
noch der Ortsname, waren die Anlage des Dorfes als ovaler zur Elbe offener Rundling (Schillerplatz), Namen der
Bewohner seit dem Mittelalter und eine nur in diesem Terrain getragene Tracht. Um 1150 gelangten während der
Ostexpansion vor allem Franken in das Fischerdorf, die sich mit den wohl schon seit dem 6. Jahrhundert hier ansässigen Sorben schließlich
verbanden. Eine gegenseitige Befruchtung der beiden Kulturen erwies sich als vorteilhaft für alle. Die
Bodenständigkeit der Menschen bei einem wenig ertragreichen Elbbett-Boden zwingt uns Bewunderung ab.
Vermutlich waren es der von den Sorben betriebene Fischfang, deren Zeidlerei und fränkische Viehhaltung, die
ein Bleiben trotz immer wiederkehrender schadenbringender Hochwasser ermöglichten. Hinzu kam die Nähe der
gegenüberliegenden sorbischen Fluchtburg mit Wehranlage aus dem 11. Jahrhundert (Burgberg) zu deren Burgward
auch der Loschwitzer Jahrmarkt gehörte. Beides konnte bequem durch die Furt erreicht werden, die sich aufgrund
der Anschwemmung des Sandes der Trille (Grundbach) gebildet hatte. Das kleine Dorf war gleich hinter den
Häusern von Wiesen und Feldern umgeben, schwer genug dem Wald abgerungen der sein grünes Kiefernkleid
ringsum weit ausbreitete. Ein Reitweg der Wettiner (heutige Blumenstraße, Goetheallee, Tolkewitzer und
Österreicher Straße) führte sie vom Dresdner Schloss zu ihren Jagdrevieren "Untergehege" auch
"Unteres Hasengehege" auf Blasewitzer Flur oder weiter zum Laubegaster "Mittelgehege und Kleinzschachwitzer
"Obergehege". Das Wild richtete zeitweise große Schäden auf den Feldern an, während die
Landesherren mit Lust jagten. Entschädigungen fielen billig aus. Eigenes Eingreifen der Bauern war ihnen
faktisch verboten. Die Kriege, welche von den Obrigkeiten meist selbst verschuldet worden waren (vor allem
Dreißigjähriger, Siebenjähriger und Befreiungskrieg), blieben die größte Geißel
der Dorfbewohner. An die Dorfzeit von Blasewitz erinnert heute außer der Karasstraße sichtlich nur noch wenig: das
Fährgäßchen, die Jagdhaus- und Naumannstraße, die Naumanntafel, die Skulptur der Gustel von
Blasewitz am Ortsamt, die Justinenstraße, Schillerplatz, -garten, -gedenkstein, und -linde. Seit die Wettiner
durch Napoleons Gnaden sächsische Könige geworden waren, öffnete sich die Stadt Dresden auch
für die Weite ihrer näheren Umgebung. So wurden von den Städtern Bauerngrundstücke aufgekauft
und wahllos mittenhinein Land- und Sommersitze errichtet. Blasewitz wurde beliebtes Ausflugsziel für die
Stadtbewohner. An den Wochenenden hatte das idyllisch gelegene Dörfchen mehr Gäste als Einheimische. Bald
wurden nicht nur Sommerhäuser, sondern feste Wohnsitze gegründet. Zu diesen gehörte auch der an der
heutigen Goetheallee 4. Der Geheime Regierungsrat im Sächsischen Innenministerium, Arthur Willibald
Königsheim, zog hier 1863 ein, entwickelte und realisierte eine reformerische Idee von immens nachhaltiger
Bedeutung nicht nur für den Ort. Die Gründung des Waldparks wurde gleichzeitig zur Geburtsstunde der noch
heute in Umfang und Art deutschlandweit ihresgleichen suchenden Villenkolonie. Einen entscheidenden Schub erfuhr
die Entwicklung durch die Reichsgründung von 1871. Neben der gartenarchitektonischen Gestaltung des Waldparks
und der herrlichen Villen unmittelbar um ihn entstanden in relativ kurzer Zeit unter strenger Beobachtung von
Bauregulativen weitere Villen der Gründerzeit, die dem Historismus huldigten, aber auch schon eine Vielzahl
mit mannigfachen Jugendstil-Elementen, welche die beginnende Moderne zum Ausdruck bringen. Bedeutende Architekten,
zumindest solche mit überdurchschnittlichen Leistungen, waren hier am Werke. In der Euphorie des deutschen
Sieges im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und der darauf erfolgten Gründung des Deutschen Reiches
wurde auf Königsheims Vorschlag eine ganze Reihe Platz- und Straßennamen vergeben, die an dieses
historische Ereignis erinnerten. Blasewitz war seinerzeit die reichste Gemeinde um Dresden und die viertreichste in
Sachsen ("Goldstaubviertel"). Hierher zogen hohe Beamte, Fabrikbesitzer und -direktoren, Adel, Militärs und
Künstler von Rang. In größter Ruhe und relativer Abgeschiedenheit von der nahen Großstadt
lebte man vorzüglich in traumhaftem Ambiente. Es dürfte klar sein, warum zu DDR-Zeit äußerst
wenig über diesen Stadtteil publiziert wurde. Die herrschende Ideologie biss sich an dem, was hier in einer
nie wieder erreichten Blüte entstanden war und kulturhistorisch tausendfach zurückstrahlte. Diese
Blasewitzer Glanzzeit ist unwiederbringlich vorüber, und nur die im letzten Jahrzehnt nach der politischen
Wende wieder neu erstrahlten Villen im durchgrünten Stadtteil lassen etwas von der hohen Kultur dieses
außerordentlichen Fleckens deutscher Heimat erahnen. Im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts streckte
Dresden schon deutlicher seine Finger nach Blasewitz aus. Die Steueroase wurde bedroht. Die Gemeinde musste um ihre
Werte fürchten. Weitere Einrichtungen, die dem Ruhm und der Autonomie von Blasewitz dienten, zeugten vom
Willen und der Kraft der Gemeinde. Trotzdem erfolgte am 1. April 1921 die Zwangseingemeindung. Die Euphorie der
Blasewitzer war verflogen - nicht nur dadurch. Der Erste Weltkrieg hatte auch ihren Familien schmerzliche Verluste
zugefügt. Inflation und Weltwirtschaftskrise nagten am Reichtum. Manche Villa erlebte Verarmung oder Zuzug
vieler Mieter. Andererseits gewann in der Weimarer Republik die Demokratie mehr Oberhand. Der Unterricht in
Blasewitz wurde weltoffener, mehr Konsulate quartierten sich in den Villen ein. In der Naumannstraße 3
(Gelände Ärztehaus) befindet sich die "Ministerpräsidentenvilla", das ehemalige Wohnhaus von Walther
Schieck. Er war Volksbildungsminister und der letzte demokratisch gewählte Ministerpräsident vor den
beiden folgenden Diktaturen. Er trat mit seiner Beamtenregierung - alle Minister waren Fachleute - nach
dreijähriger Amtszeit 1933 geschlossen zurück, nachdem bei Hitlers Machtübernahme die Absetzung
ihres Innenministers Richter gefordert worden war. Allzu willfährig ließen auch Blasewitzer in der
braunen Ära mit sich geschehen, was kulturellen Niedergang und Zerstörung selbst ihres geliebten
Stadtteils brachte. Denen gegenüber, die sich mittels der neuen Ideologie profilieren wollten, hielt sich das
hier überwiegend reiche humanistisch gebildete Bürgertum vornehm zurück. Echten Widerstand
Leistenden wie Lene Glatzer (Straße in Blasewitz/Striesen zu DDR-Zeit nach ihr benannt) ging die
menschenverachtende Ideologie faktisch auch ans Leben. Am deutlichsten zeigte sich das bei den Juden, in deren
Villen im schönen Stadtteil einige Nazigrößen zogen, wenn die "niedere Rasse" emigriert war oder
man sie zur Deportation in eines der 40 Dresdner Judenhäuser, Lothringer Weg 2, damals 12, steckte (Viktor
Klemperers Tagebücher). Ab 1939 gab es in Blasewitz eine nicht unerhebliche Zahl "arisierter" Villen. Der
Krieg brachte polnische und französische Zwangsarbeiter in Haushalte und Betriebe, die nachts im Goethegarten
eingepfercht wurden, auch Lazarette im Waldparkhotel, in der Ilgenvilla und im Dampfschiffhotel sowie erneut tote
Familienangehörige und durch die Blasewitzer Alleen humpelnde Kriegskrüppel. Dennoch gab es trotz
zunehmende Notstandes das Besondere: den Schillerplatz. Noch immer fanden bis 1945 etwa 60
Einzelhandelsgeschäfte aller Branchen, Dienstleistungsbetriebe, Handwerker, kleine und große
Gaststätten, Schankwirtschaften, die Stadtsparkasse und drei Großbankfilialen ihr Auskommen. Im
Endeffekt aber brachte die auch über Blasewitz 1945 abgeladene Bombenlast englischer und amerikanischer
Flugzeuge Tod und Zerstörung. In den letzten Stunden des Dritten Reiches wären fast das "Blaue Wunder"
und die stehengebliebenen anliegenden Häuser von Schiller- und Körnerplatz nach Hitlers "Nero-Befehl"
durch Deutsche direkt vernichtet worden. Unter Einsatz ihres Lebensversuchten Erich Stöckel und Paul Zickler
das zu verhindern. Andere Sprengungsverhinderer setzten ihr höchstes Gut dafür nicht mehr ein. Und so
stehen zu Recht noch immer die beiden Namen allein an der Gedenktafel des Blasewitzer Brückenkopfes. Nach dem
Überqueren der Brücke durch die Rote Armee begann die zum Sozialismus strebende Ära mit SMAD und
schließlich 40jähriger DDR. In dem Bestreben, nun endlich alles besser zu regeln ("Aktivisten der ersten
Stunde", Trümmerfrauen, Neulehrer, ...) leisteten Menschen, die in der Sowjetischen Besatzungszone blieben und
nicht gleich nach "Drüben" abgezogen waren, Aufopferungsvolles (Gedenktafel für Hans Löscher,
Barteldesplatz 1). Straßennamen, die immer noch an das Eilen der Deutschen von Sieg zu Sieg erinnerten,
verschwanden, aber auch Menschen in sowjetische Kriegsgefangenenlager auf Nimmerwiedersehen. (Kommendantur der
SMAD, Naumannstraße 3). Betrunkene plündernde Sowjetsoldaten ermordeten zum Beispiel in der Nacht vom
28. Mai 1945 den aus der Villa gezerrten Baron Seiler (Goetheallee 22). Der Schillerplatz wurde zum Einkaufszentrum
Dresdens. In den Bars von "Schillergarten" und "Waldparkhotel" traf sich die Großstadt Prominenz. Beim
Schwanken der Tanzbodendiele des Gasthofes unter Swingrhythmen hofften die Menschen noch auf Veränderungen.
Aber sie gingen in den Westen, als die Decke darunter bröckelte oder der Putz von den Wänden der Villen,
deren Glanz immer mehr verfiel. Ursache waren bei allem Engagement der Hiergebliebenen der durch Kalten Krieg und
steife Wirtschaftsführung bestandene Mangel. Die Isolierung von der Welt (Mauerbau) kam hinzu. Am 13. August
1961 schliefen der ABV von Blasewitz und sein Hund während der Einsatzwache auf dem wieder einmal strategisch
wichtig gewordenen "Blauen Wunder" ein - symbolisch für das Verpassen des Anschlusses der DDR an das
Weltgeschehen. Aus war es für sie, als die Schlangen der Westorientierten und Ausreisewilligen am Standesamt
Goetheallee und am Angelsteg 5 nicht mehr abrissen. Mit der politischen Wende war wieder Hoffnung auf
Veränderungen verbunden. Die kamen über Nacht. Plötzlich gab es Waren, die der Schillerplatz zu
DDR-Zeit nie gesehen hatte, wuchs die Zahl der Banken. Es gibt mehr als je. Gleichzeitig sterben die altetablierten
kleinen Handelsgeschäfte aus, die sich noch über die letzte Diktatur gerettet und das Flair vom
Schillerplatz verkörpert hatten. Nur noch ein schwacher Abglanz davon ist zu erkennen. Villen bekamen wieder
Farbe, aber so viele Büros darin wurden nie gebraucht. Und doch pulsiert am und um den Schillerplatz das Leben
neu. Zahlreiche Geschäfte und Dienstleistungsunternehmen sorgen für ein reiches Angebot, welches den
Besuch im Stadtteilzentrum wieder lohnenswert macht. Der Schillerplatz ist Verkehrsknotenpunkt wie kaum ein anderer
Platz in Dresden. Über das "Blaue Wunder" rollen täglich rund 40 000 Autos. Straßenbahnen und
Busse queren den Schillerplatz. Eine Zentralhaltestelle zwischen der "Schillergalerie" und der Dresdner Bank, der
"Nase" am Platz, sorgt für reibungsloses Umsteigen. Mehrere Restaurants bieten am Schillerplatz Speisen
unterschiedlichster Art bei unverwechselbarem Ambiente. Durch die "Schillergalerie" entsteht ein neuer
Besuchermagnet zwischen der Hübler- und Loschwitzer Straße mit 5 500 Quadratmeter Verkaufsfläche.
Im Obergeschoss ist ein Multiplex-Kino mit 1950 Plätzen eingerichtet. Das Ortsamt erhofft sich einen noch
größeren Sogeffekt für Blasewitz und das Profitieren der Geschäfte, die hier ansässig
sind. Bilderklärungen: Bild 1: Blick auf Blasewitz (links), Gemälde von Anton Graff, um 1800 Bild 2: Schillergarten mit Schillerdenkmal, Zeichnung von Täubert, 1859 Dieser Artikel erschien im (Ausgabe September 9/2000, S. 4-6). © Blasewitz begreifen 1998-2004 | Impressum hoch | Kontakt | Gästebuch | Startseite |