Korrekturen zum "Blauen Wunder"
Der
Dresdner Stadtgeschichtsdarstellung abträglich sind Falschaussagen und
Rettungslegenden. Dieser Beitrag soll das „Blaue Wunder“ betreffend
korrigieren, was ins Reich der Sage gehört. Dass der Konstrukteur Claus Köpcke
(1831-1911) sein Bauwerk falsch klassifiziert hatte, sei ihm verziehen.
Immerhin hatte er zwischen den Gemeinden Loschwitz und Blasewitz etwas bis heute
in der Welt technisch Einzigartiges geschaffen – eine Fachwerkstrebenbrücke
ohne Strompfeiler mit hochaufragendem Tragewerk, einem sich selbst tragenden
vierteiligen Dreiecksverband. Das statische System kann man als kopfstehenden
Dreigelenkbogen über der Hauptöffnung mit seitlich angehängten
Fachwerkscheiben bezeichnen. Die Fahrbahn der Loschwitzer Brücke ist nicht
aufgehängt. Ober- und Untergurte sind zu vier steifen Dreiecksverbindungen
ausgebildet und durch Plattfedern elastisch miteinander verbunden. Diese
Dreiecksverbände tragen sich selbst. Was wie Pylonen oder Brückenpfeiler
aussieht, sind nur Teile des Verbandes. Die doppelte Sichelform der Gurtung
bewirkt den scheinbaren Hängebrückeneindruck, drei Gelenke der Mittelöffnung
die notwendige Beweglichkeit in vertikaler Richtung.
Bis
heute wird seit einer Zeitungs-„Ente“ des Jahres 1935 erzählt, die
Brücke wäre ursprünglich Grün angestrichen gewesen; aus den Mischfarben
Kobaltblau und Chromgelb. Durch Atmosphärilien – Witterungseinflüsse also
– hätte sich das Metallgelb verflüchtigt. So wären die Leute verwundert
gewesen, dass die Brücke sich blau verfärbte – ein blaues Wunder. Dabei gab
es im „Dresdner Anzeiger“ schon seit dem 25. April 1893 eine Reihe
journalistischer Belege für die Farbe Blau. Numismatiker kennen die Blasewitzer
Gedächtnismedaille „Elbthaler“, die die Gemeinde anlässlich der Einweihung
der Brücke (15. Juli 1893) und der Heilig-Geist-Kirche (15. Oktober 1893) noch
1893 in Nürnberg hatte prägen lassen. Auf dem Avers mit der Darstellung der Brücke
heißt es: „König-Albert-Brücke – genannt das Blaue Wunder“. So schnell,
innerhalb weniger Wochen, hatte sich die Brücke nicht verfärbt.
Ernster
sind Aussagen bezüglich der Brückenrettung im Zusammenhang mit der
geplanten Sprengung 1945 zu nehmen. Ein Konglomerat von Falschaussagen,
Erinnerungsmängeln, Verdrängungen, politisch gewollter Interpretation und
journalistischer Sensationslust hat Verwirrung
geschaffen. Die historische
Wahrheit sieht so aus:
Am
Blasewitzer Brückenkopf befindet sich in der Nähe des Café Toscana seit 1965
eine Gedenktafel für zwei Männer, Erich Stöckel (1893-1964) und Paul Zickler (1884-1964), die unabhängig
voneinander ihr Leben zur Rettung der Brücke nachgewiesenermaßen eingesetzt
hatten. Der Tafeltext stimmt im wesentlichen; nur Erich Stöcke hatte die
Leitungen nicht durchgeschnitten, sonder aus einer Sammelbatterie gezogen. Ein
von beiden seit 1951 bis ans Lebensende ausgetragener Streit ändert an den
Tatsachen nichts. Wenn ihre Rettungsaktionen die Sprengungsverhinderung auch
nicht unmittelbar bewirkt hatten, gelten sie trotzdem als die Retter des
„Blauen Wunders“. Alle anderen inzwischen in Betracht gekommenen Personen
(selbsternannte oder benannte „Retter“ der Brücke) bleiben den Beweis ihres
Anteils schuldig oder sind nicht als Retter, sondern bestenfalls als
Sprengungsverhinderer anzusehen. Sieht man vom „Spinner aus Rochwitz“, Max Mühle,
ab, gibt es weiter angebliche Brückenretter, wie den antifaschistischen Arzt
und Wissenschaftler Prof. Dr. Rainer Fetscher und dem Handelsvertreter Carl
Bouché; wie gesagt, durch nichts zu beweisen. Die Taten aber jener, die die
Sprengung mittelbar und unmittelbar verhindert hatten, sind einzuordnen unter
hauptsächlich strategisch-taktisches oder alibiverschaffendes Verhalten. Wie
auch immer gehören zu diesen Sprengungsverhinderern General der Infanterie
Werner Freiherr von und zu Gilsa, Gerhard Flechsig als Kommandeur der Reste des
Fallschirmpanzerkorps der ehemaligen Division Herman Göring, der Brückenkommandant
Hauptmann Wirth, der Führer der Kampftruppe „Blaues Wunder“, Horst Kalusche,
Pionierleutnant Paschke vom Führungsstab des Brückenkommandos sowie vier junge
Wachsoldaten einer Flak-Einheit, die im Waldpark eine Stellung mit 120
Geschossen des schweren Wurfgeräts 40 („Stuka zu Fuß“) zu bewachen hatten.
Die Taten jener aber hatten mit Rettung um der Brücke, Menschen und Werte in
ihrer Umgebung willen nichts zu tun.
Kurt-Dieter
Prskawetz
Der
Artikel erschien in der (Ausgabe März/April 2002, Nr. 17, S. 2)
|