Dieter Prskawetz
Blasewitzer Schulgeschichte


Aufgeschrieben 1996 anlässlich des 120jährigen Jubiläums
der 63. Grund- und Mittelschule in Dresden-Blasewitz
und des 145. Jahrestages der Fertigstellung des ersten Schulhauses im Dorfe Blasewitz

 
Die Blasewitzer Dorfschule

 

Dramatik im Vorfeld des Baues

Der Sturm der französischen Revolution, begrüßt von Friedrich Schiller, der sich in "Wallensteins Lager" an die Gustel von Blasewitz erinnerte, wo er - nun sind es vierzig Jahre her - bei ihr mit seinem Freund Johann Gottlieb Naumann fröhliche Stunden in der Sommerschenke an der Elbe verbracht hatte, ließ auch ein laues Lüftchen der Revolution über die Wipfel des Blasewitzer Tännichts streichen. Die imperialen Leichen des großen Korden waren gerade unter ihnen und im Boden der Bauerngrundstücke hier verscharrt, wölbten sich revolutionäre Kumuluswolken über Dresden und seine Umgegend.

Es ist die Zeit im Gefolge der preußischen Reformen, wodurch nun erstmals wieder seit Luther starke Impulse auf Sachsen und schließlich zurück für ganz Deutschland ausgehen. Mittenhinein fallen die letzten Unterrichtsjahrzehnte im Schulstübchen des Marienhofes, die schon gekennzeichnet sind vom Drang nach Veränderung und kampferfüllt nach einer ordentlichen Dorfschule verlangen. Der letzte Lehrer des Marienhofes ist nicht einer von denen, die diesen Prozess vorantreiben, keiner vom Schlage eines Friedrich Wilhelm Wander, jenes wahren Volksschullehrers, der mit persönlichen Konsequenzen nach Reformen in der Bildung für ganz Deutschland strebt, sondern das biedere, angepasste Dorfschulmeisterlein Eduard Bruck, wie es allerorten damals anzutreffen war. Ein ganz anderer Kollege treibt in Blasewitz die Entwicklung voran, Max Leonhardi, ein Mann der Kirche, jedoch nicht ohne den Zeitgeist, der zu den revolutionären Ereignissen von 1830/31 führt.

Während der Dienstjahre des Eduard Bruck (1826-1865; geb. 1803) verbesserten sich die Schulverhältnisse merklich. Sein Gehalt bekam er vom Staat. Lehrer waren vor allem nach der Generale vom 4.3.1805 und fortan in der Mehrzahl besoldete Staatsdiener. Was bekamen sie ausgezahlt? Um zu verhindern, dass Blasewitzer Lehrer wegen zusätzlichen Lebensunterhalts (Privatstunden) zwischen dem Dorf und der Residenzstadt pendelten, wurde diese "Reisetätigkeit" 1826 abgeschafft. Vermutlich hängen die Dienstantritte von Bruck und Leonhardi im selben Jahr ursächlich damit zusammen. Das Schulgeld wurde auf den Satz von einem Groschen pro Woche erhöht, wodurch die Blasewitzer Schulstelle auf das damals gesetzliche Minimum von 80 Talern kam. Für die Reinigung der Schulstube erhielt Bruck mit seiner Frau außerdem jährlich 1 Taler. Diese Entschädigung setzte 1838 aus, als der Finanzierungsstreit für die neue Dorfschule einen ersten Höhepunkt erreicht hatte, Bruckner aber gar nicht mal der Streiter war. Über ihn, der bei seinem Abgang 1865 eine silberne Taschenuhr für allseitig anerkannte treue Dienste bekommen hatte, sagte eine seiner letzten Schülerinnen: "Der gute alte Bruck war musikalisch und ein frommer, bescheidener echter Dorfschulmeister."




Das Schulstübchen im Marienhof war schon zu eng geworden. Immerhin betrug die Einwohnerzahl in Blasewitz 1803 bereits 170 und sie sollte noch bis 1834 auf 220 ansteigen, da ließ die Dorfbevölkerung 1817 den Wunsch nach einem neuen Schulhaus verlauten. Prompt wandte sich ein Premierleutnant von Reinhardt, welcher das Eckhaus am Schillerplatz 13 besaß, mit einer Eingabe an König Friedrich August 1., in der er sich dahin aussprach, dass "eine so riesenhafte Idee, in Blasewitz ein Schulhaus zu bauen, erst dann gefasst werden könne, wenn ein künftiges goldenes Zeitalter die Bewohner dieses in Sandfeldern liegenden Dörfchens aus ihren Schulden herausgeführt habe".

Im gleichen Jahr wie Eduard Bruck, 1826, wurde auch der Freitagsprediger an der Kreuzkirche, Magister Max Gustav Christian Leonhardi (1789-1849) als Lokalinspektor und Betexaminator für Blasewitz angestellt. Er griff den Gedanken der Blasewitzer sofort auf und ließ ihn trotz Widerstandes zu seiner eigenen Idee werden, die er schließlich endgültig verfolgte.

Kaum war die "Ära Lindenau" mit ihrer liberalen Reformpolitik zu Ende, kam 1835 ein neues Schulgesetz heraus. Was Blasewitz betrifft, setzten nun dreijährige Verhandlungen ein, in denen vor allem die Unmöglichkeit eines neuen Schulbaues erörtert und die Erhöhung des Lehrergehalts auf 120 Taler abgelehnt wurde. Die Behörde ging auch nicht darauf ein, ihre Gemeindekinder im benachbarten Striesen einzuschulen, da von den Gemeindebewohnern diesbezüglich ein Protest ausging. Es ist auch aktenkundig belegt, dass sich Blasewitz und Striesen nicht nachbarschaftlich damit einverstanden erklärten. So verfügte das Sächsische Kultusministerium, dass der Schulneubau auf sechs Jahre vertagt wurde, zu der gesetzlichen Minimalbesoldung ein Zuschuss von 20 Talern aus der Staatskasse gewährt und außer der Schulstube eine besondere Wohnung für den Lehrer und seine Familie gemietet werden solle. Die Stube über dem Schulzimmer des Marienhofes erschien dafür geeignet. Blasewitz beugte sich diesen Anordnungen, zumal das Ministerium zugleich 200 Taler als Beitrag zum Schulbau in Aussicht gestellt hatte. Ein normales Schulhaus zu bauen, wäre unter jenen Bedingungen möglich geworden.

Johann Gottlieb Naumann (1741-1801)Doch da gab es inzwischen eine neue Idee. Johann Gottlieb Naumanns (1741-1801) 100. Geburtstag (17.4.1841) stand bevor. Die Gemeinde wollte, dass das Schulhaus ein Naumann-Denkmal werde und sich nicht mit einem üblichen nüchternen Gebäude begnüge, sondern der Einrichtung für die Huldigung des gefeierten Tondichters einen monumentaleren Charakter gebe. Den kostspieligeren Bau - es war klar, um einen solchen würde es sich ganz gewiss handeln - wollte die Gemeinde mit dem Sammeln freiwilliger Gaben bezahlen. Der Erfolg war nur gering. So kam dem sich für das Wohl der Blasewitzer Schule stark engagierenden Schulinspektor, Diakon Max Leonhardi, der Gedanke, das herannahende Naumannjubiläum zu einer Gedenkfeier zu gestalten, und bei dieser Gelegenheit eine Naumannstiftung zu gründen. Leonhardi wandte sich hierfür gemeinsam mit Gemeindevorstand Robert Kropp, Fabrikant und Besitzer des Blasewitzer Stadtgutes, mit einer Bittschrift an Königin Marie, Gemahlin von König Friedrich August II. Der Geheime Rat von Lüttichau (1783-1864), Generaldirektor der Kgl. musikalischen Kapelle und des Hoftheaters in Dresden, erstellte dazu ein Gutachten, welches dann 1841 vom König genehmigt wurde. Die Konzeption sah die Aufführungen von Kompositionen des verstorbenen Kapellmeisters Naumann vor, deren Ertrag für den beabsichtigten Schulbau und zugleich für ein Denkmal des großen Blasewitzer Sohnes bestimmt war. Über diese Benefizveranstaltung gab es ausgiebige und kontroverse Erörterungen. Vor allem der Stadtrat zu Dresden stellte sich dem ganzen Projekt feindselig entgegen. Lediglich Superintendent Dr. Heymann versuchte, das Unternehmen mit allen Kräften zu unterstützen. Letztendlich fand die Veranstaltung am 16. April, also am Vorabend des 101. Geburtstages Naumanns im Saal des Dresdner Opernhauses statt. Der Erlös belief sich auf 502 Taler und 12 Neugroschen.

Gottfried Semper (1803-1879)Leonhardi und Kropp trieben unterdessen ihr Projekt voran, soweit sie konnten und weiter als vorerst erlaubt. Sie wollten, dass ein mit architektonischer und plastischer Kunst sich auszeichnendes Haus  erbaut werde. Den Entwurf legte kein Geringerer als der schon seinerzeit berühmte und damals noch als Lehrer an der Dresdner Kunstakademie tätige Professor Gottfried Semper (1803-1879) 1841 vor. Ermutigt durch die Jubelfeier, planten die beiden, weiterhin jährlich am Geburtstage Naumanns ein ländliches Musik- und Gesangfest von der Blasewitzer Schuljugend durchzuführen, um die Leistungen des Blasewitzer Wunderknaben nicht nur in der leblosen Gestalt eines Denkmals zu würdigen. Auch regten sie an, eine kleine Schulbibliothek zu gründen und für die Gemeinde eine Fördersumme zur Erhaltung des künftigen Schulgebäudes zu stiften. Dieses Programm ließ man drucken und schließlich zahlreichen Musikfreunden einschließlich renommierten Musikdirigenten in und um Dresden zukommen, um sie zu diesem Anliegen für Musikaufführungen zu gewinnen.

Am 17. April 1841 also wurde in Blasewitz die Hundertjahrfeier ausgerichtet, welche durch die Anwesenheit des älteren und jüngsten Sohnes, Karl Friedrich Naumann, geboren 1797, und Peter Konstantin Naumann, geboren 1800 (beide Professoren an der Bergakademie Freiberg), sowie seines Enkelsohnes, Karl Ernst Naumann, geboren 1832 (später Professor der Musik in Jena), und Enkeltochter Elise Naumann, geboren 1825 (spätere Gattin des Geheimen Medizinalrates Dr. Günther in Dresden), besondere Aufmerksamkeit erfuhr. Im Gartensalon des Blasewitzer Gasthofes, der mit Immergrün umflochtenem Brustbild Naumanns geschmückt war, wurde unter Mithilfe mehrerer Musikfreunde der Festakt abgehalten, bei welchem Diakon Leonhardi den Festvortrag hielt, der Dresdner Gesangverein "Orpheus" das geistliche Chorwerk "Lobe den Herrn, meine Seele" von Naumann aufführte und zum Schluss der Kreuzchor die Naumannsche Arie "Unerforschlich sei mir immer" anstimmte. Daraufhin bildete sich ein Zug, der sich zum Dorfplatz hin in Gang setzte, wo an dessen oberster Seite der Grundstein zum neuen Schulhaus gelegt wurde. Danach begab sich die Festgemeinschaft zu dem mit Girlanden geschmückten Naumann-Palais auf der Residenzstraße 3, wo Leonhardi noch einmal eine Ansprache hielt und die Schulkinder von Blasewitz sowie die Kreuzschüler abschließend sangen.

Naumann-Palais, wurde 1945 zerstört [zum vergrößern bitte klicken]Erst nach der Aufführung im großen Opernhaus und nachdem auf allgemeine Aufforderung staatliche Beiträge von Naumannverehrern in Höhe von 800 Talern eingegangen waren, die man wiederum bei dem Bankier Michael Kastel (dessen Tochter Henriette die Gattin des zweitgeborenen Sohnes Naumanns, Geh. Medizinalrat Professor Moritz Naumann, war) zinsbar angelegt hatte, schritt man zur Berufung eines Komitees der Naumannstiftung, zu welchem neben den Gründern Leonhardi und Kropp noch Hofrat Dr. Engelhardt, Baumeister Kluge und Ministerialsekretär Dr. Hering sowie später drei weitere Mitglieder hinzukamen. Die Gemeinde selbst war zu arm, als dass sie hätte mehr tun können, um diese Stiftung ins Leben zu rufen und den Bauplatz aufzukaufen.

Am 2. Juli 1842 fand die erste Sitzung der Naumannstiftung statt. Es vergingen aber seit der ersten Grundsteinlegung bis zur Einweihung des Schulhauses reichlich zehn Jahre.

Mehrere Gründe waren dafür relevant:

Es gab die großen Brände 1842 in Deutschland und die daraus resultierende Teuerung ab 1843. Durch die revolutionären Unruhen 1848/49 blieben die anfangs zugunsten der Naumannstiftung in Aussicht gestellten musikalischen Aufführungen in deutschen Städten gänzlich aus. Professor Semper zog sich grollend zurück, weil auf seinen Entwurf zum Schulbau nicht eingegangen werden konnte; seinem Plan waren zu ideale Auffassungen bescheinigt worden, und die Ausführung erschien insgesamt zu kostspielig. Diakon Leonhardi und Gemeindevorstand Kropp - die Initiatoren des wohltätigen Unternehmens für einen Schulneubau - wurden schließlich auch noch wegen unbefugten Geldsammelns einer Überprüfung unterzogen, Kropp gar ein Verweis erteilt und die Kosten des Verfahrens auferlegt. Außerdem wurde jede weitere Sammlung verboten und verordnet, sämtliche Beiträge an die Spender, welche sie zurückforderten, wieder auszuzahlen. Die Verordnung wurde zudem im »Dresdner Anzeiger« bekannt gemacht. Es hatte jedoch niemand sein Geld zurückgenommen.

Je endloser die Verhandlungen zwischen Schulinspektion und Gemeinde wurden, desto edler erscheint das Beispiel eines Mannes, der als Klaviervirtuose, als Komponist, Dirigent und Musikorganisator zu dieser Zeit gerade Europa eroberte und sich für die Blasewitzer Sache verwandte. Es handelt sich um den Hofrat Dr. Franz Liszt (1811-1886), großherzoglicher Kapellmeister in Weimar, der am 25. Januar 1844 in einem Schreiben der Naumannstiftung um Mithilfe gebeten wurde. Bereits fünf Tage darauf gab Liszt folgende Antwort:

Dr. Franz Liszt (1811-1886)Meine Herren
Obgleich es meine Absicht nicht war, Ihre Stadt diesmal zu besuchen, meine Zeit auch so zugemessen ist, dass ich kaum über einige Tage verfügen kann, so bin ich doch gern bereit, Umweg und Mitwirkung, die Sie von mir wünschen, anzubieten, wenn der Zweck, den Sie erreichen sich vorsetzen, auf eine würdige Weise und rasch erreicht werden kann.
Ich will Ihnen sagen, wie ich das verstehe. 
Sie brauchen 1.200 Taler, um einen guten Gedanken gut auszuführen; indem Sie nämlich das Andenken eines verdienstvollen Künstlers ehren, tun Sie es nicht auf sterile Weise, sondern zu Nutz und Frommen der Menschen.
Naumann war ein Sachse, sein Wirkungskreis Sachsen, die Früchte seiner Stiftung sollen wiederum für Sachsen reifen. Es ist also ein ganz nationales Interesse in Ihrer Sache. Dazu war Naumann Kapellmeister in Dresden. Sein eigentlicher Wirkungskreis, nächst der Kirche, das Theater. Wo er gewirkt hat, von dort aus muß sein Andenken zuerst geehrt werden, wenn es würdig geschehen soll. An die Stelle des damaligen dumpfen beschränkten Raumes ist eines der schönsten Gebäude Europas getreten. Ich wiederhole es, nur im Theater, nicht in einem Saale kann, muss für Naumann gewirkt werden. Im Theater ist es würdig, im Theater finden sich die 1.200 Taler, die gar nicht mehr fehlen sollen.
Ich kenne die dortigen Verhältnisse nicht, weiß nicht, ob es Ihnen leicht, ob es Ihnen schwer werden wird, das Theater für diesen Zweck zu erlangen. Bezweifeln kann ich es nicht, das Theater gehört dem König, und seine Majestät, die sich bei dieser Veranlassung schon so gnädig gezeigt hat, wird entscheiden. Das vor allen Dingen trachten Sie zu erlangen. Auf meine geringe Mitwirkung können Sie dann rechnen.
Sie haben mir, meine Herren, überlassen, was Sie gütigst meine Bedingungen nennen wollen. Ich habe Ihnen keine Bedingungen zu machen, aber mir selbst sind Bedingungen gestellt, so dass ich Ihnen nur die Tage vom 21., 22., 23. Februar anbieten kann. Dass ich von meinem Aufenthalt in Dresden keinen anderen Gebrauch machen werde, bedarf wohl keiner Erwähnung.

In Erwartung Ihrer geneigten Antwort verharre ich in Hochachtung Weymar

30. Januar 1844
ergebenst F. Liszt

Daraufhin erteilte seine Majestät der König von Sachsen, Friedrich August II., bereitwillig die Genehmigung. Unter Mitwirkung der beiden Kapellmeister Reissiger (1768-1859) und Richard Wagner fand diese "musikalische Akademie", bei welcher Franz Liszt mit glänzendem Erfolg ein Konzertstück von Carl Maria von Weber (1786-1826) mit Orchester und eine Fantasie über Don Juan allein spielte, am 21. Februar 1844 im Königlichen Hoftheater statt. Der große Virtuose löste damit pünktlich sein gegebenes Wort ein, denn die Einnahme betrug gerade 1.279 Taler, 25 Neugroschen und 9 Pfennige. Hierdurch und durch die eingehenden Zinsen erhöhte sich der Fonds auf 2.300 Taler; aber erst nach fünf Jahren konnte der Kaufpreis aufgebracht werden. Leonhardi erlebte das nicht mehr. Die Aufregungen und öffentliche Misskreditierung durch Behörden werden bei dem Mann, der sich so verdient um den Bau der ersten Dorfschule von Blasewitz gemacht hatte, wesentlich zur Erkrankung und seinem Tode beigetragen haben. 1847 erkrankte er und verstarb 1849 in der Irrenanstalt zu Colditz. Seit Leonhardis Erkrankung kam es zu einem Stillstand im Komitee. Hofrat Dr. Engelhardt war es, der die Versammlung der Naumannstiftung wieder zusammenrief. Allerdings waren da schon einige Mitglieder aus der Stiftung ausgetreten, indes der neue Gemeindevorstand Vogler im Jahre 1849 diese Angelegenheit dadurch wieder in Fluss gebracht hatte, dass er statt des als für unpraktisch erkannten Bauplatzes, auf welchem 1841 der erste Grundstein gelegt worden war, der verwitweten Madame Krebs ein Stück Feld von 40 Ellen Breite und 60 Ellen Länge an der so genannten Viehweide (heutige Naumannstraße) am nach dem Tännicht führenden Gemeindeweg als neuen Schulbauplatz für 100 Taler abkaufte. Damit war nun auch die Gemeinde bereit, den genannten Kaufpreis zu erstatten, und der Bau konnte beginnen.

  

Der Schulneubau

Im Ergebnis der Revolutionsereignisse wurde Semper, der Demokrat, steckbrieflich gesucht und floh in die Schweiz. Die Gemeinde forderte nun einen neuen Bauplan von dem Jagdmaurermeister Carl Ludwig Klug (1790-1874) an. Sein Plan sah eine einfache Bauweise vor. Baumeister Laurent, der damals gleichzeitig mit dem Bau der Marienbrücke beschäftigt war (1846-1852), übernahm die Bauleitung. Den Vertrag mit beiden Baumeistern schloss das Komitee der Naumannstiftung ab, indem sich die Unterzeichner des Komitees verpflichteten, für die Bausumme aufzukommen. Danach entstand das Schulgebäude bei Gesamtkosten von 3.250 Talern.

Am 2. September 1850 erfolgte die zweite Grundsteinlegung. Unter Führung des Lehrers Bruck versammelten sich 40 mit Kränzen und Blumen geschmückte Schulkinder auf der Baustelle. Die Festrede hielt Konsistorialrat und Superintendent Dr. Heymann, auf diese folgte eine Rede des ältesten Stiftungsmitgliedes und Miturhebers, Direktor Robert Kropp. Danach verlas Hofrat Engelhardt die von ihm abgefasste und von allen fünf Komiteemitgliedern unterschriebene Denkschrift, die mit einer gedruckten Biographie Naumanns in eine Kapsel von Zink gelegt und in eine eingehauene Öffnung des Grundsteins eingefügt wurde. In eine zweite Kapsel legte man Bibel und Katechismus. Hierauf erfolgten die drei symbolischen Hammerschläge. Ein Schlusswort, Gebet und Segen, vom Diakon Steinert gesprochen, und ein Gesangbuchvers beendeten die Feier. Die damals in den Grundstein gelegte Urkunde fand man übrigens im Jahre 1890 bei dem vorgenommenen Erweiterungsbau noch unversehrt vor.

Blasewitzer Dorfschule auf der Naumannstr. (heute linker Teil des Ortsamtes) Nach knapp einjähriger Bauzeit konnte am 14. November 1851 im Beisein der gleichen Amtspersonen und Behördenvertreter das neue Schulgebäude eingeweiht werden. Das Zeremoniell ähnelte der Grundsteinlegung, lediglich ein Festessen auf Kosten der Gemeinde, die auch die weitere Ausstattung der Schule übernahm, beendete den für die Blasewitzer Geschichte bedeutsamen Tag.

Dem Komitee selbst fehlten zu den Baukosten noch 1.082 Taler, zu deren Deckung das Kultusministerium 400 Taler, König Friedrich August II. 150 Taler beitrugen, während der Rest von den Komiteemitgliedern selbst getragen werden musste. Der Streit mit Baumeister Laurent wurde beigelegt und die Naumannstiftung für ihre Verdienste um den Schulbau gewürdigt, vollendete sich doch ihr Wirken für die Gemeinde unter großen Schmerzen.

Zeitgenossen schilderten das monumentale Gebäude 1852 so:

"Ein im reinsten gotischen Stile ausgeführtes Portal führt in das freundliche Innere des Gebäudes, welches durch das rosettenartige, mit buntem Glas versehene Türfenster matt erleuchtet wird. Zwischen den beiden Hauptfenstern des Frontispiz aber wird noch im Laufe dieses Jahres, als unerlässlich zu der Idee des Ganzen, unter einem gotischen Baldachin die Statue des ein Kind segnenden Engels angebracht werden. Darüber streben himmelan die fünf schmalen Giebelbogen bis zu der Blume auf dem durchbrochenen Mittelbogen, wo späterhin eine Glocke die Jugend der Gemeinde in feierlicher Morgenstunde zu der Schule rufen soll, um die Lehren des Christentums zu empfangen. Dies aber deutet das Kreuz an, welches unmittelbar unter dem durchbrochenen Glockenbogen angebracht ist. Ist in dem Äußeren des Gebäudes das kirchliche, christlich-mystische Element vorherrschend und trägt die Hauptgiebelseite derselben hauptsächlich den monumentalen Charakter, ja ist dieses Frontispiz gleichsam, wenn dieser Vergleich erlaubt ist, eine in Stein und Mörtel geschriebene Missa [kirchenlateinische Bezeichnung für Messe], so ist das Innere lediglich für die unmittelbare Bestimmung eingerichtet und soll dabei besonders die zweckmäßige Verteilung des nicht allzu großen Raumes unvergessen bleiben. An den Seitenwänden des Hausflurs sind in gotischer Schrift die zehn Gebote als Inschriften angebracht. Die jetzt noch leere Tafel über dem Eingange zur Schulstube wird späterhin noch die Hauptmomente der Geschichte des Baues der Schule und auch die Hauptdaten aus dem Leben des gefeierten Tonkünstlers erhalten. Die geräumige, helle und hohe Schulstube kann 60 Kinder fassen und die Aussicht von derselben auf das gegenüberliegende Loschwitzer Gebirge und den Elbstrom ist in der Tat wundervoll. Das obere Stockwerk endlich erhält die hübsche und geräumige Lehrerwohnung."

Auch wenn keine Inschrift, Statue oder nicht einmal ein Symbol unmittelbar an Naumann erinnerte, so ist der Schulbau selbst als ein Denkmal für den unvergessenen Tondichter Johann Gottlieb Naumann eine Huldigung besonderer Art. Die Naumannstiftung hatte mit den vorhandenen Geldern das Bestmögliche geleistet und ein Werk geschaffen, welches zugleich auch ein Andenken an den Schöpfer und den Baumeister Emil Laurent ist. Oder war Semper gar doch letztlich der Urheber für den heutigen linken Gebäudeteil des Ortsamtes Blasewitz?

Kurt Diestel (1862-1946) | [zum vergrößern bitte klicken]Erst 50 Jahre später, die Schüler waren schon 1876 auf die Oststraße (heute Wägnerstraße) in die Bürgerschule umgezogen, erhielt das bis dahin namen- und schriftlose Memorial doch noch seinen Bedeutungsnachweis. Die Gemeinde gab zwei Gedenktafeln beim Blasewitzer Bildhauer B. Fischer in Auftrag, der sie nach einem Entwurf des Architekten Professor Kurt Diestel (1862-1946) aus einem  Gipsmodell goss. Die Bronzetafeln zeigten das Reliefporträt Naumanns. Am 23. Oktober 1902 wurde die eine an der Naumannstraße, die andere am von Karl Emil Scherz 1901 angebauten Seitenflügel der Bürgerschule, nämlich am Eingang von der Prohliser Straße (heute Kretschmerstraße) angebracht. In der Naumannstraße hing die Tafel bis 1942; dann wurde sie entfernt und zur Einschmelzung für Kriegsmaterial vorgesehen, möglicherweise dazu auch abtransportiert. Das Duplikat war noch während der Kriegsjahre an der Schule und wurde dort noch nach 1948 gesehen. Wenn heute wieder eine dritte Tafel zum Ruhme Naumanns und den Kenner an das engagierte Komitee aus der ersten Hälfte des 19. Jh. am Ortsamt Blasewitz erinnert, dann ist das ein besonderes Verdienst des Blasewitzer Wolfgang Wahrig, der noch zu DDR-Zeit als Mitglied der Staatskapelle nach der wie er glaubte einzigen Naumanntafel aufwendig recherchierte, u. a. auf dem so genannten Hamburger "Glockenfriedhof' und im Nürnberger "Germanischen Museum". Die Tafel galt als Kriegsverlust. Herr Wahrig ließ mit Voraussicht auf den 250. Geburtstag des Kapellmeisters ein Konto einrichten und gab bei dem Dresdner Kunstformermeister Manfred Zehrfeld die neue Bronzetafel in Auftrag, sie zu schaffen nach einer Fotografie. In diesem Prozess und im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme der Ausgrabungen in den Kasematten der Brühlschen Terrasse 1990/91 entdeckte der Denkmalpfleger Winfried Werner bei einer Begehung dort unter vielen Gedenktafeln, Skulpturen und Stadtreliefs das vermisste Gipsmodell der Naumann-Gedenktafeln von einst. Foto und das rechtzeitig gefundene Gipsmodell ermöglichten, dass am 17. April 1991 zum Naumann-Jubiläum die Gedenktafel bei einem Kostenaufwand von ca. 35.000 DM feierlich enthüllt werden konnte.

  

Die Ära Dorfschule geht zu Ende

Das Unterrichtsgeschehen wird über 14 Jahre - die längste Zeit des noch 25 Jahre bestehenden Schulhauses - durch ihn erstrangig bestimmt, der schon am 14. November 1851 mit 40 Kindern hier einzog, Eduard Bruck. Eine Reihe historischer Ereignisse, regionale als auch überregionale, sowie der nun straffere Dienst lassen Bruck und die anderen Lehrer der Dorfschule kaum noch zur Ruhe kommen. Am schönsten war vielleicht noch für Bruck, außer der würdevollen Verabschiedung im Jahre 1865, das zehn Jahre zuvor in Dresden begangene Jubelfest anlässlich des 300 Jahre zurückliegenden Augsburger Religionsfriedens am 23. September 1855, als 30 seiner Schüler in Dresden am Festzug teilnehmen durften. Der lange magere Mann mit dem pockennarbigen Gesicht und krausen schwarz und grau gesprenkeltem Haar hatte 1865 schon fast 40 Jahre Dienst hinter sich gebracht, der nicht immer unangefochten, aber angepasst war.




1861 war Lew Tolstoi nach Dresden gekommen und besuchte aus persönlichem Interesse, aber auch weil er das sächsische Schulwesen wegen seiner Ausrichtung auf Allgemeinbildung und mehr naturwissenschaftlichen Unterricht schätzte, eine der damals 40 Schulen Dresdens. In seinen Notizen aus jenen Tagen ist dennoch zu lesen: "Die Schulen sind schlecht. Schlendrian" (letzteres in Deutsch). Es muss wohl eine Schule gewesen sein, wie die Blasewitzer vormals bei Bruck im Marienhof, wo noch 15 Jahre nach Erlass des Sächsischen Schulgesetzes von 1835 weder ein Hauptbuch, ein Versäumnisbuch, noch ein Lektionstagebuch geführt wurde, sodass der Superintendent dreimal die Konzeptionsbehörde ersuchen musste, um in Blasewitz Ordnung zu schaffen. Außerdem fehlte es damals noch an einem allgemeinen Lesebuch und an einem von der Behörde bestätigten Schulvorstand. Erst mit dem Einzug ins Schulhaus wurde dies alles nachgeholt, und man konnte in den Schuldokumenten endlich auch Brucks feine Kanzleihandschrift bewundern. Das Neue wirkte sich förderlich für das hiesige Schulwesen aus; so wurde eine Schulordnung geschaffen, das Lehrergehalt bis auf 200 Taler erhöht und schließlich wuchsen auch die Einnahmen mit der Erhöhung der Schülerzahl, die in dieser Zeit von 40 auf 120 stieg, waren zwischen 1852 und 1861 doch allein 36 neue Landhäuser hinzugekommen. Vom wachsenden Schulgeld und den Besitzveränderungsabgaben wurden nicht nur die früheren Schulden getilgt, sondern auch noch für 300 Taler Staatspapiere angekauft. Jedoch die Schulanstalt blieb in ihrer ursprünglichen Beschaffenheit, worüber sich im Jahre 1864 in Nr.311 der »Dresdner Nachrichten« ein Familienvater beschwerte und eine daraufhin eingeleitete Untersuchung Ende 1865 zur Pensionierung des Schulleiters Bruck führte. Der Hilfslehrer Emil Müller aus Weißig wurde sein Nachfolger. Bruck konnte noch bis 1869 die Schulwohnung benutzen.

Doch damit war die Sache nicht vom Tisch. Die Kinderzahl stieg schon 1867, dem Jahr, als erstmals das Zensurbuch in Erscheinung trat, auf 160, welche in drei Klassen, ab 1869 mit 200 Kindern in vier Klassen unterrichtet werden mussten. Bereits im selben Jahr musste der Hilfslehrer Herrmann May eingestellt werden. Vor allem ergab sich ein zweiachsiger Schulhausanbau. Die bisherige Lehrerwohnung im ersten Obergeschoss wurde dabei zu einem Schulzimmer umfunktioniert. Ernst Müller und der neue Hilfslehrer Herrmann May mussten sich Wohnung in Privathäusern suchen. Schon im Jahre 1873 stellte sich abermals heraus, dass die beiden 1869 eingerichteten Schulzimmer ebenfalls nicht mehr genügten. Der Gemeinderat und die Schulinspektion beabsichtigten daher, einen oder gar zwei Flügel anzusetzen. Da aber dieser Plan verschiedene Unzulänglichkeiten darbot, beschloss der Gemeinderat am 9. Juli 1874, ein neues, allen Anforderungen der Zeit Genüge tragendes Schulhaus zu erbauen.

25 Jahre lang hatte das Gebäude an der Naumannstraße Schulzwecken gedient, dann war es trotz aller Um- und Anbauten zu klein - eine Erscheinung, die auch für alle späteren Blasewitzer Schulbauten bezeichnend ist.

 
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